Dem 200. Geburtstag von Charles Darwin, der vor 150 Jahren sein Hauptwerk „Über die Entstehung der Arten” veröffentlichte, gewidmet ist die Ausstellung von Thomas Michel in der Berliner Galerie Frenhofer. Zum ersten Mal wird das hydrographische Werk von Thomas Michel in einer Einzelausstellung gezeigt, das den Betrachter mitnimmt auf eine Expedition zu den unbekannten Ufern einer Kunst, die den Gesetzen ihrer eigenen Schöpfungsgeschichte folgt. So wie Charles Darwin durch seine Weltreise auf der HMS Beagle zur Theorie über die Evolution des Menschen als integralem Teil der Natur inspiriert worden war und dadurch die religiöse, soziale und wissenschaftliche Weltanschauung seiner Zeit revolutioniert hat, werfen die Bilder Thomas Michels ein neues Licht auf die Wechselwirkung von Natur und Kunst.
Darwin unterwarf die Entstehung des Menschen und die gesamte Vielfalt von Lebenserscheinungen dem blinden Wechselspiel von Zufall und der natürlichen Auslese. Dieses Postulat von Charles Darwin enthielt Sprengkraft sowohl zur Befreiung der Biologie von der Theologie als auch das innovative richtungsweisende Potenzial für die Eröffnung neuartiger Denkhorizonte und die Beschreibung bisher nicht gewagter Forschungswege. „Die natürliche Auslese hat kein Ziel” – nach Darwin will die Evolution nicht den perfekten Organismus schaffen, sondern den besser angepassten Arten einen Vorteil im Überlebenskampf sichern. Jede Kultur, Sprache oder Stil sind von der Vergänglichkeit bedroht. Nachhaltigkeit erfordert Entwicklungspotentiale zu erkennen anstatt an bestehenden Verhältnissen festzuhalten, jede Kultur oder Spezies, die diesem Grundsatz nicht folgt, ist ihrem Untergang geweiht. „Theories will go, facts will stand.”, so stellte Charles Darwin fest. Die Evolution, die er in ihrer ganzen Tragweite als Erster begriff, bildet die Grundlage für die schöpferische Freiheit sowohl von Natur als auch Kultur.
Die Arbeiten von Thomas Michel folgen den gleichen Gestaltungsprinzipien, die für alle geologischen und biologischen Erscheinungsformen in der Natur verantwortlich sind. Aus einem Tropfen Tusche läßt Thomas Michel ein ganzes Universum entstehen, wobei natürliche Wachstums- und Transformationsprozesse einen nie gesehenen virtuellen Kosmos erschaffen, der zugleich seltsam vertraut und fremd wirkt. Maritimes Gestein scheint zu bizarren Formationen zu erstarren, zur Wiege allen Lebens, das nach Erfüllung seiner reproduktiven Bestimmung im Plan der Evolution wieder zu fossilen Fundstücken transformiert wird. Rätselhafte Organismen drängen ans Licht, andere blühen im Dunkel, und ihr kurzer Tanz auf dem Unbelebten, in das sie unweigerlich zurückkehren müssen, wird zum Sinnbild der Sterblichkeit allen Lebens. Einer Laune der Natur entsprungen und zugleich einer permanenten instabilen Metamorphose unterworfen, beziehen sie ihre Entwicklungsfähigkeit aus ihrer Vergänglichkeit im Spannungsfeld zwischen Leben und Tod.
Darwin prägte durch seine Theorie die Vorstellung vom Kampf ums Dasein zwischen Paradies und Weltverwüstung bis heute. Im dialektischen Wechselspiel von Zufall und Auslese setzen Thomas Michels Hydrographien ihre eigene Evolution in Gang, Mikro- und Makrokosmos verschmelzen zur Projektionsfläche für archetypische Seelenzustände des Betrachters, der zu den Wurzeln der menschlichen Wahrnehmung zurückgeführt wird. Die Bilderreise durch Thomas Michels Darwinland beschwört die Fähigkeit herauf, die den Menschen über alle vorangegangenen Primaten heraushob: Erkenntnis durch Staunen.
17.10.-28.11.2009