

Francis Bacon war sein Leben lang von gequälten Körpern und Kadavern besessen, die er in Schreckensvisionen auf die Leinwand zu bannen suchte. Die Staatsgalerie Stuttgart zollt mit ihrer Ausstellung „Francis Bacon. Unsichtbare Räume” einem der herausragendsten und zugleich umstrittendsten Künstlern des 20. Jahrhunderts Tribut.
Francis Bacon war der Meinung, daß seine Werke nicht annähernd so schrecklich seien wie das Leben selbst, doch für viele Betrachter sind seine Bilder zugleich ästhetisch und in ihrer voyeuristisch zur Schau gestellten Fleischlichkeit abstoßend. Bis heute hat sein Werk nichts von seiner Faszination und Aktualität eingebüßt, mit 40 meist großformatigen Gemälden, darunter vier Triptychen, widmet die Staatsgalerie zum zweiten Mal nach 1985 Francis Bacon eine umfassende Ausstellung. Von seinem wichtigen Frühwerk „Kreuzigung” ausgehend, führt der von Kuratorin Ina Conzen konzipierte Rundgang durch alle Werkphasen des Künstlers, selten gezeigte Zeichnungen und Dokumente geben zudem einen Einblick in die Entwicklung von Francis Bacons Bildideen und seine Arbeitsweise.

Francis Bacon, Drei Studien des männlichen Rückens, 1970
Gewalt prägte sein Leben seit frühester Kindheit, als Sohn britischer Eltern wurde er 1909 in Dublin in den irischen Religionskonflikt zwischen Katholiken und Protestanten hineingeboren. Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs zog seine Familie von Dublin nach London und pendelte jahrelang zwischen beiden Städten. Durch die Kriegswirren und asthmatische Beschwerden, an denen er litt, besuchte Francis Bacon nur unregelmäßig die Schule.
Als er sich mit sechzehn als homosexuell outet, wirft ihn sein gewalttätiger Vater aus dem Haus. Er gerät in eine Spirale aus Alkoholexzessen, Gewalt und Glücksspiel im Milieu der Halbwelt. Zunächst schlägt er sich in London durch, dann schickt ihn sein Vater 1927 nach Berlin, wo er zusammen mit einem reichen Freund als Gegenleistung für sexuelle Dienste im Hotel Adlon residiert. Bald läßt sich Francis Bacon in Paris nieder, wo er erfolglos als Möbeldesigner und Innendekorateur sein Glück versucht. Eine Ausstellung mit Pablo Picassos „Badenden” wird für ihn zum künstlerischen Erweckungserlebnis. Ohne je eine Kunstschule gesehen zu haben, beginnt er als Autodidakt unter der Anleitung des australischen Künstlers Roy de Maistre Ölbilder zu malen.
Sein erstes nennenswertes Werk „Kreuzigung” aus dem Jahr 1933 wird ohne Erfolg in der Ausstellung „Art Now” in der Londoner Mayor Gallery gezeigt. Auch von den Surrealisten bekommt Francis Bacon 1936 eine Abfuhr, als er sich für die internationale Surrealismus Ausstellung bewirbt und als zu wenig surrealistisch zurückgewiesen wird. Mit dieser Einschätzung sollten die Surrealisten Recht behalten, denn trotz gemeinsamer Vorbilder von Hieronymus Bosch bis Goya ließ sich das Werk von Francis Bacon nie in gängige Kategorien einordnen, er blieb immer ein künstlerischer Außenseiter.

Francis Bacon, Sitzende Figur, 1961 – Porträt George Dyer im Spiegel, 1968 – Mann und Kind, 1963
Nach anhaltendem Mißerfolg als Künstler wird er in den 1930er Jahren professioneller Roulette-Spieler und zerstört während des Zweiten Weltkriegs fast sein gesamtes Frühwerk bis auf 15 Bilder. 1946 läßt sich Francis Bacon in Monte Carlo nieder und pendelt bis 1950 zwischen Monte Carlo und London. Als er beim Glücksspiel sein gesamtes Geld verliert und sich in Monte Carlo keine neuen Leinwände leisten kann, benutzt er die ungrundierte Rückseite bereits bemalter Bilder. Dies erweist sich für ihn als Glücksfall, da die Ölfarbe sofort in das rohe Leinengewebe eindringt, läßt sich kein Pinselstrich mehr korrigieren, was beim Malen eine größere Entschlossenheit erfordert. Von diesem Moment an behält Francis Bacon seine Vorliebe bei, auf ungrundierten Leinwänden zu malen.
Schreiende Päpste und Affenkäfige sind für Francis Bacon ein- und dasselbe: Ausdruck eines gottlosen Universums.
Die Galeristin Erica Brausen widmet Francis Bacon 1949 in ihrer neu eröffneten Hanover Gallery seine erste Einzelausstellung, die für ihn den endgültigen Durchbruch bedeutet. Mit dem Triptychon „Drei Studien zu Figuren am Fuße einer Kreuzigung” aus dem Jahr 1944 hatte er überraschend eine künstlerische Reife und Meisterschaft erlangt, die sein ganzes späteres Werk prägten sollten. Damals beginnt er auch seine Serie schreiender Päpste zu malen, zu der er durch eine schwarz-weiß Abbildung von Papst Innozent X. von Velazquez inspiriert worden war. Francis Bacon war erklärter Atheist, bekannte sich aber zur abendländisch christlichen Maltradition, weshalb er auch das Bildformat des Triptychons übernahm. Der Schrei des Papstes ist eine Revolte gegen die Liturgie und das Weltbild des Klerus.

Francis Bacon, Porträtstudie VII, 1953

Film Still aus Sergej Eisensteins „Panzerkreuzer Potemkin”
Der zum Schrei geöffnete Mund ist die Quintessenz verschiederer Inspirationsquellen. Zum einen hatten Francis Bacon Illustrationen in einem medizinischen Handbuch über Mundkrankheiten, auf das er in Paris gestoßen war, seit langem fasziniert. Doch auch die Darstellung der schreienden Mutter in „Der Bethlehemische Kindermord” von Nicolas Poussin und das Film Still der schreienden tödlich ins Auge geschossenen Kinderfrau aus Sergej Eisensteins „Panzerkreuzer Potemkin” haben Francis Bacon nicht mehr losgelassen. Desweiteren besaß er ein Exemplar der Zeitschrift „Documents” von 1930, in der Georges Bataille einen Artikel über den Mund geschrieben hatte, in dem er ihn als wichtigstes Erfahrungswerkzeug des Menschen von Vergnügen und Schmerz bezeichnete und so Mensch und Tier auf eine Stufe stellte. Die psychologische sexuelle Bedeutung des Mundes hat auch Pablo Picasso für seine Figuren genutzt, das wiederkehrende Motiv der „Vagina dentata” dürfte auch für Francis Bacon unbewußt eine Rolle gespielt haben. In seinen bis zur Unkenntlichkeit deformierten Körpern sind es oft nur die blitzenden Zahnreihen, die dem Betrachter einen Hinweis auf die Gesichtsphysiognomie geben und den gegenständlichen Kulminationspunkt seines gestisch expressiven Malauftrags bilden, mit dem er das Inkarnat modelliert.
Francis Bacon fühlte sich zeitlebens zu Männern hingezogen, die zur Gewalt neigten. 1952 wurde Peter Lacy, ein Barpianist, sein Geliebter. Als dieser Francis Bacon durch ein Fenster hinausstieß, zog er sich ernsthafte Gesichtsverletzungen zu. Sein späterer Geliebter George Dyer war ein depressiver und gewaltbereiter Krimineller, der in Francis Bacons Wohnung eingebrochen war, was diesen aber nicht daran hinderte, eine Beziehung mit ihm einzugehen.

Francis Bacon, Triptychon, 1967
Die Darstellung von Gewalt spielt eine zentrale Rolle im Werk von Francis Bacon. Der Existenzkampf des Menschen deformiert und verstümmelt ihn. Verdrehte Fleischpakete und blutige Kadaver sind die Protagonisten in Bacons bizarren Raumkonstruktionen. Teilweise sind diese monströsen Torsi nur durch ihre Extremitäten oder ihre aufgerissenen Münder als menschliche Kreaturen identifizierbar, der Übergang zum Animalischen bleibt stets fließend, sie können sich nicht artikulieren und leiden ohne Sinn.
Während Picasso seine Figuren in ihre Einzelteile zerlegt und neu zusammensetzt, verdichtet Francis Bacon seine Fleischmassen durch expressive Pinselhiebe, bricht deren Menschwerdung aber genau in dem Moment ab, da sie von abstrakter Farbmaterie in die Gegenständlichkeit kippen. Sie kommen nicht über die Schwelle eines embryonalen Homunculus hinaus, so als ob Gott betrunken seinen Bauplan des Lebens verpfuscht hat. Die Bildwirkung dieser fleischgewordenen Alpträume, die beim Betrachter „unmittelbar ins Nervensystem eindringen”, erreicht Francis Bacon mit den gleichen malerischen Mitteln, die er bei den Abstrakten Expressionisten ablehnt. Bacon war als figurativer Maler ein Einzelgänger in einer Zeit, die vom Siegeszug das Abstrakten Expressionismus geprägt war.


Die Welt von Francis Bacon ist voll mit Schwarzen Löchern. In ihrem Sog gibt es für die Materie kein Entrinnen.
Seine zerquetschten Fleischmassen kauern auf Stühlen, lehnen auf Tischen und liegen in Betten. Die Leiber stecken in Zwangsjacken, sind mit Injektionsspritzen festgenagelt, verknäueln sich beim Geschlechtsakt und brauchen in ihrem existenziellen Ringen mit dem Leben nicht auf göttlichen Beistand zu hoffen, denn Gott ist tot. Während sie gegen ihr sinnloses Leiden anbrüllen, werden sie wie Schlachtvieh in Bacons Arenen vorgeführt und bloßgestellt. Francis Bacons bekundete sein Interesse an Schlachthäusern und schwärmte von der Schönheit des Fleisches. Er fand es immer wieder erstaunlich, daß es nicht er selbst war, der dort am Haken hing.
Francis Bacons Figuren interagieren stets mit dem Raum, der sie umgibt, Figur und Raum bedingen sich gegenseitig. Der Raum verdichtet die abstrakte Farbmaterie zu kruden Verballhornungen aus Fleisch an der Grenze zur Gegenständlichkeit zwischen Leben und Tod, während ihre Vitalität und ihr Schmerz das Raumgefüge unter Spannung setzen. Francis Bacon ist ein Meister der Kontraste und setzt diese souverän zur Steigerung der Bildintensität ein. Klare monochrome Flächen treffen auf einen gestisch-expressiven Pinselduktus, harte Schatten bilden schwarze Kontrapunkte zur Farbigkeit der Hintergründe, während die architektonische Linearität seiner angedeuteten Käfigstrukturen mit den schwellenden Formen der Figuren kontrastiert.

Francis Bacon, Triptychon – Studien nach dem menschlichen Körper, 1970
Dem bisher wenig untersuchten Raumkonzept in Bacons Bildern will die Staatsgalerie Stuttgart nun mit ihrer Ausstellung „Francis Bacon. Unsichtbare Räume” Rechnung tragen. Die Raumbühnen in Bacons Malerei machen seine Figuren zu Gefangenen, die sich im Horror Vacui krümmen und dem Publikum vorgeführt werden. Kubische Linien zwängen sie in Käfige aus Glas, elliptische Flächen erinnern an Sessel, Betten, Tische oder Geländer. Sie laufen über die Bildränder hinaus und sprengen den Rahmen, zugleich rücken die aggressiven Farbtöne der Bildhintergründe, die Francis Bacon der Pop Art entlehnt hat, den Figuren zu Leibe und auch auf den Betrachter zu. Im Bild-im-Bild Motiv der linearen Umrahmung bezieht sich Bacon auf Alberto Giacomettis käfigartige Drahtskulpturen seiner surrealistischen Phase aus den 1930er Jahren, als auch auf dessen dessen Methode, in seinen Zeichnungen die portraitierte Figur durch die lineare Verkleinerung des Bildausschnitts hervorzuheben.
Meist setzt Francis Bacon seine gequälten Kreaturen wie Skulpturen auf Podeste wie auf einem Präsentierteller, um den Voyeurismus des Betrachters zu befriedigen. Sie werden zu Exponaten einer Freak Show oder eines Zoos, wobei das Publikum durch die Glaskästen und Käfigstrukturen vor den Gewaltexzessen geschützt werden muß. Gesteigert wird diese Wirkung durch die Tatsache, daß Francis Bacon seine ungefirnissten Bilder hinter Glas rahmen ließ, um eine einheitliche Bildwirkung zu erzielen. Wie hinter Panzerglas werden die artifiziellen Schreckensszenarien vom realen Raum isoliert.
Wie ein Architekt entwarf Francis Bacon die ästhetischsten Folterkammern in der Geschichte der Kunst.
Diese irrealen Arenen hinter Glas sind von betörender Schönheit. Sie sind aseptisch wie Operationssäle und hermetisch wie Folterkammern, kärglich ausgestattet mit Mobiliar, das die Komposition mit Spannung auflädt und den Blick des Betrachters auf die schmerzverzerrten Protagonisten lenkt, sie sind sozusagen gemalte Installationen. Abstrahierte reduzierte Einrichtungsgegenstände mit harten Oberflächen erinnern an Stahlrohrmöbel wie von Le Corbusier oder Eileen Gray, Francis Bacons Versuch, sich in den 1930er Jahren als Möbeldesigner durchzuschlagen, spielt bei der Ausstattung seiner mondänen Bildräume sicher eine große Rolle. Spiegel, ellipsoide Paravents und Türen multiplizieren die Räume und steigern die Sogwirkung der Bilder auf den Betrachter. Innen und Außen, klaustrophobische Enge und agoraphobische Weite verschmelzen miteinander. Auf den ersten Blick einfach und klar, ist der inszenierte Raum in Wahrheit ein labyrinthartiges Spiegelkabinett, in dem es für das Inventar und auch den Betrachter kein Entrinnen gibt. Die Bilder in zunehmendem Maße „einfacher und komplizierter machen”, das war das erklärte Ziel von Francis Bacon.
Dabei bediente er sich auch des Prinzips der Simultaneität. Großen Einfluß auf die Entwicklung seines ästhetischen Weltbilds hatten Eadweards Muybridges fotographische Bewegungsstudien „The Human Figure in Motion” von 1901 oder „Animal Locomotion” von 1887. Die sequentielle Darstellung von Bewegung hatte bereits Marcel Duchamp in seinem Bild „Akt, eine Treppe hinabsteigend” von 1912 und auch die Futuristen beschäftigt. Francis Bacons Bestreben war es, daß seine Bilder so aussehen, „als sei ein menschliches Wesen durch sie hindurchgegangen, wie eine Schnecke, eine Spur von menschlicher Anwesenheit und die Erinnerung an vergangene Ereignisse zurücklassend, so wie die Schnecke ihren Schleim zurückläßt”.

Eadweards Muybridge, The Human Figure in Motion
Die simultane Wiedergabe von Perspektiven wird durch die häufige Verwendung des Triptychon-Formats unterstützt. Im relativen Raum-Zeit-Kontinuum seiner Bilder sah er die Motive in permanenter Metamorphose und drückte diese sequentiellen Momentaufnahmen oft in einer zum Triptychon erweiterten dreifachen Ansicht aus. Die christliche Ikonographie des Altarbildes spielte für Francis Bacon keine Rolle, sie half ihm jedoch dabei, seine Schlachtszenen mit der religiösen Dimension der Passionsmalerei aufzuladen.
Es scheint, die Fotographie ist nur dafür erfunden worden, um von Francis Bacon in Malerei transformiert zu werden.
Die wichtigste Inspirationsquelle war für ihn die Fotographie, in ihr werden kunsthistorische Bezüge wie das Papstbild von Velazquez, Film Stills, zeitgenössische Aufnahmen von Sportlern oder Diktatoren, als auch aus seinem persönlichen Umfeld und Selbstportraits in einem Medium zusammengeführt und danach in einem destruktiven Prozeß weiterbearbeitet. Fotos werden übermalt, zerknittert, zerrissen und wieder zusammengesetzt, wobei die Deformationen den kreativen Ausgangspunkt für die Entwicklung seiner großformatigen Gemälde bilden. Vor allem die Darstellung von Box- und Ringkämpfen übten große Faszination auf Francis Bacon aus, die in sich verkeilten Körper der Ringkämpfer assoziierte er mit dem homoerotischen Geschlechtsakt. Das medizinische Fachbuch „Positioning in Radiography”, eine Anleitung für röntgenologische Lagerungstechniken, war für ihn ein Fundus, um seine Figuren auf Bettgestellen und Operationstischen zu fixieren.

Francis Bacon, Porträt Isabel Rawthorne, auf einer Straße in Soho stehend, 1967
Seine Bildideen setzte er direkt auf der ungrundierten Leinwand ohne Vorzeichnung um. Die in der Staatsgalerie Stuttgart ausgestellten Zeichnungen belegen aber, daß Francis Bacon durchaus Ideen skizzenhaft auf Papier festhielt, um sie später frei als Gemälde auszuführen. Trotz aller Dramatik des Dargestellten bleibt die sich überlagernde Farbmaterie stets luftig und transparent. Die teilweise sichtbare Gewebestruktur verleiht seiner Malerei eine trockene samtartige Oberfläche, die den Pastellen von Edgar Degas, die Francis Bacon sehr schätzte, nahe kommt. Zusätzlich mischte er der Ölfarbe Sand oder Staub bei und bearbeitete diese mit Bürsten oder alten Pullovern, die ihre Gewebetextur wie ein Stempel auf der Leinwand hinterließen. Um die matte Textur der Malschichten zu erhalten, verzichtete Francis Bacon bewußt auf Firnis und ließ seine Bilder stattdessen hinter Glas rahmen, das durch seine Lichtreflexe einen Kontrast zur Farbmaterie bildet und die Dreidimensionalität der Bilder steigert.
Die Dekoration betrachtete er als Hauptübel der abstrakten Kunst, neben der Illustration und der Sentimentalität. Einer Interpretation seiner Bilder hat sich Francis Bacon stets verweigert, er überließ es dem Betrachter, was er darin sehen wollte. Das Narrative blendet er konsequent aus und läßt seine Figuren isoliert vom Bildgeschehen agieren, die Sinnlosigkeit und Irrationalität der Existenz wird dadurch unterstrichen. Nichts lag ihm ferner, als durch Kunst die Welt verändern zu wollen, letzten Endes waren es seiner Meinung nach nur Bilder, nicht mehr.
Francis Bacon lebte wie ein moderner Diogenes in der Tonne. Zum Leben benötigte er nichts außer einem winzigen Atelier.
Das Leben und Weltbild von Francis Bacon waren geprägt von der bipolaren Spannung zwischen Ordnung und Chaos. Dies spiegelt sich nicht nur in seinen Werken, sondern auch in seiner winzigen Londoner Atelierwohnung an der Reece Mews wider, die er von 1961 bis zu seinem Tod 1992 bewohnte. Bacon selbst galt als diszipliniert und verläßlich, selbst wenn er betrunken war, zum kreativen Arbeiten brauchte er jedoch größtmögliches Chaos, weshalb sein Atelier dem eines Messies würdig war. Das Atelier durfte nur von wenigen Auserwählten betreten werden und noch seltener ließ er sich beim Malen beobachten. Für Francis Bacon war das Malen ein intimer ritueller Akt und sein Atelier eine Art geheimer Zufluchtsort.

Atelier von Francis Bacon, 7 Reece Mews, South Kensington
Er brauchte die Unordnung, um sie durch den kreativen Prozeß in Ordnung zu verwandeln und dabei dem Zufall die Chance zu geben, das Kommando über die Ratio zu übernehmen. Der Atelierraum war eine Rumpelkammer im Dachgeschoß, der Fußboden war übersät mit farbverschmierten Fotos, Büchern, Blechdosen und Malutensilien. Die Wände benutzte er als riesige Palette, um die Wirkung von Farben zu testen. Dieses Chaos war der Nährboden für seine Ideen und es bleibt für Außenstehende ein Rätsel, wie er in diesem klaustrophobischen Chaos so reduzierte, klare Triptychen schaffen konnte, die gerade so duch die Tür dieser Abstellkammer paßten. In den 1970er Jahren war Francis Bacon als einer der größten zeitgenössischen Künstler etabliert, doch sein Ruhm bedeutete ihm nichts. Die Kunstwelt und den Medienrummel mied er, und trotz seines Reichtums bewohnte er weiterhin das Kutscherhäuschen an der Reece Mews, das neben dem Atelier nur einen weiteren kleinen Wohnraum hatte. Er lebte exzessiv und blieb dabei immer optimistisch, weil er sich vom Leben nichts erwartete. Sein Leben endete am 28.4.1992, als er während eines Aufenthalts in Madrid an Herzversagen starb.

Francis Bacon, Sanddüne, 1983 – Wasserstrahl, 1988
Die Erfahrung zweier Weltkriege weckte in Francis Bacon das ausgeprägte Bedürfnis, „die Schleier, die sich im Lauf der Zeit über das Faktische legen, herunterzureißen”. In einer schonungslosen Analyse seiner Zeit und seines eigenen Lebens hat er die häßliche Wahrheit des 20. Jahrhunderts enthüllt. Heute erleben wir mit der medialen Inszenierung der menschlichen Tragödie eine neue Dimension des Schreckens, der Propagandakrieg des internationalen Terrorismus hat dem Menschen die letzte Würde genommen und zum Schlachtvieh degradiert, genauso wie es Francis Bacon immer vorhergesehen hatte. Seine gemalten Alpträume waren nicht die Ausgeburt eines bizarren Geistes, sondern der Blick eines Visionärs auf die Wirklichkeit. „Wir werden geboren und wir sterben, und dazwischen versuchen wir dieser sinnlosen Existenz durch unser Tun einen Sinn zu geben”.
07.10. – 08.01.17 Staatsgalerie Stuttgart