

Zum fünfhundersten Todesjahr von Hieronymus Bosch präsentiert der Prado eine Megaschau, die so viele Werke des Meisters wieder zusammenführt wie niemals zuvor. Die umfangreichste Ausstellung, die es jemals über Hieronymus Bosch gegeben hat und höchstwahrscheinlich geben wird, umfaßt mit vierzig Gemälden, Altarbildern und Zeichnungen drei Viertel seines erhaltenen Werks. Zwanzig weitere Werke von Schülern und Zeitgenossen runden die Schau ab.
Der Prado, der mit sechs Gemälden die weltweit größte Sammlung mit Werken von Hieronymus Bosch besitzt, kündigt die Jahrhundertausstellung schlicht als „El Bosco” an. Bosch hat die Sammlungsgeschichte des Prado entscheidend geprägt, Philipp II. war ein begeisterter Sammler seines Werks und ließ nach dessen Tod in ganz Europa sämtliche verfügbaren Bilder konfiszieren und nach Spanien schaffen. Deshalb wird Bosch bzw. „El Bosco” in Madrid als spanischer Maler betrachtet und der Prado als seine eigentliche Heimstatt, genauso wie Velazquez und Goya.

Der Ausstellung im Prado ging Anfang des Jahres bereits die Schau im Noordbrabants Museum in s’Hertogenbosch voraus, wo eine ähnlich große Zahl von Werken als Leihgaben zusammengetragen wurde, da das Museum in Boschs Heimatstadt keine eigenen Werke von ihm besitzt. Nur der „Garten der Lüste”, der vom Prado behütet wird wie ein Schatz und niemals verliehen wird, fehlte in s’Hertogenbosch und wurde durch eine Kopie ersetzt. Immerhin gelang es dem Noordbrabants Museum, den „Heuwagen” als Leihgabe aus Madrid zu erhalten. Der Ausleihe war zuvor ein erbitterter Streit zwischen dem Prado und dem “Hieronymus Bosch Research and Conservation Project” wegen diverser Abschreibungen vorausgegangen.
Die niederländischen Wissenschaftler, die seit 2010 an einer umfassenden Bestandsaufnahme und der Restauration des Werks von Hieronymus Bosch arbeiten, erklärten drei der sechs Bilder, die dem Prado gehören, darunter den Tondo “Die sieben Todsünden”, für nicht authentisch. Die Tafel befand sich bereits in den Privatgemächern von Philipp II., bevor er sie 1574 in den Escorial bringen ließ. Dem Urteil des “Hieronymus Bosch Research and Conservation Project” hält die Museumsleitung des Prado eigene wissenschaftliche und dendrologische Analysen entgegen, aus Verärgerung zog sie die Zusage für zwei weitere Leihgaben an das Noordbrabants Museum wieder zurück.

Hieronymus Bosch war der erste humanistische Künstler, der sich dem Leben zuwandte.
Die Kuratoren des Prado haben einen Ausstellungsparcours aufgebaut, der die Besucher in sieben Sektionen durch die rätselhafte Bilderwelt von „El Bosco” führt. Die erste Station „Bosch und s’Hertogenbosch” beleuchtet das Umfeld und die Heimatstadt von Hieronymus Bosch mit einer zeitgenössischen Darstellung des Tuchmarkts auf dem zentralen Marktplatz, wo Bosch lebte und arbeitete. Die weiteren Stationen sind nach seinen Bildthemen geordnet: der Geburt und Lehre Jesu Christi, den Heiligen, dem Paradies und der Hölle, dem „Garten der Lüste”, der Welt und den Menschen, sowie der Passion Christi.
Die opulente Bosch-Sammlung des Prado mit dem „Garten der Lüste” als zentralem Meisterwerk der Schau wird bereichert durch Leihgaben unter anderem aus dem Louvre, dem Metropolitan Museum in New York, der National Gallery of Art in Washington, der London National Gallery mit der „Dornenkrönung Christi” sowie der „Versuchung der Heiligen Antonius” aus dem Lissabonner Museu Nacional de Arte Antiga.

Hieronymus Bosch war der erste Künstler des Mittelalters an der Schwelle zur Renaissance, der sich nicht mit dem Jenseits und dem Erhabenen, sondern dem Diesseits und den Niederungen des Lebens mit all seinen täglichen Grausamkeiten zuwandte. Dabei ging er stets an die Grenze dessen, was das Dogma des Klerus mit seinem festgelegten Bildkodex gerade noch erlaubte, in einem gewagten Balanceakt befriedigte er die Erwartungen der Kirchväter genauso wie die voyeuristischen Neigungen seiner weltlichen Auftraggeber. Seinen Bildern liegt ein moralisierender Humanismus zugrunde, den er in einer geheimen Bildsprache so geschickt chiffrierte, daß ihm der lange Arm der Inquisition nichts anhaben konnte.
Über das Leben von Hieronymus Bosch und ihn als Menschen gibt es nur spärliche Informationen. Geboren wurde er um 1450 als Jheronimus van Aken, seine Familie stammte, wie der Name belegt, aus Aachen. Das Malerhandwerk lernte er wohl in der väterlichen Werkstatt, die von seiner Familie bereits seit Generationen betrieben wurde. Hieronymus Bosch nahm den Namen seiner Heimatstadt s’Hertogenbosch als Künstlernamen an und war einer der ersten Künstler, die ihre Werke signierten, was für sein Selbstverständnis als ambitionierter Maler spricht, der sich vom bloßen Handwerk der Malerei emanzipieren wollte.

Über seine Lehrjahre ist nichts bekannt, 1487 findet Bosch zum ersten Mal urkundliche Erwähnung als „freier Maler”, obwohl er seine Zulassung zur Ausübung des Malerhandwerks bereits viel früher erhalten haben dürfte. Durch die Heirat mit der Patriziertochter Aleyt Goyaert van de Mervenne, die unter anderem ein Landgut in die Ehe einbrachte, wurde Bosch zu einem der größten Steuerzahler seiner Stadt. Seine finanzielle Unabhängigkeit machte ihn auch gegenüber der Kirche weniger angreifbar. 1486 trat er der „Illustre Lieve Vrouve Broederschaft”, der Liebfrauenschaft bei, die für ihn ein Netzwerk von Auftraggebern darstellte. Die Bruderschaft unserer Lieben Frau, die 1318 von Adeligen, Geistlichen und Bürgern gegründet worden war, widmete sich der Wohltätigkeit und der Volkserziehung. Hieronymus Bosch gehörte der Gesellschaft bis zu seinem Tod im Jahr 1516 an. Die Register der Notabeln, der führenden Persönlichkeiten von s’Hertogenbosch, erwähnen, daß er 1488 zu einem Festessen einlud, bei dem ein Schwan verzehrt wurde. Einen Schwan führte die Vereinigung auch in ihrem Wappen, die Brüder waren an Festtagen, besonders an Marienfesten, zum Kirchendienst verpflichtet. In Sint Jan hatte die Bruderschaft eine eigene Kapelle.
Die Aristokraten liebten die Bilder von Hieronymus Bosch, obwohl sie bewußt mit den Regeln des katholischen Bildkanons brachen.
Aufträge der Kirche hatten für das Ansehen und die Sicherheit von Hieronymus Bosch große Bedeutung, er entwarf Glasfenster, Kruzifixe und Altarschreine. Seinen Ruhm als Künstler verdankt er jedoch aristokratischen Kreisen außerhalb seiner Heimatstadt, die er wohl niemals verließ. Zu seinen Lebzeiten wurden die Niederlande von wechselnden Herrschern regiert. Nach dem Tod Marias, der Tochter Karls des Kühnen, wurde die Regentschaft von ihrem Mann, dem Habsburger Maximilian übernommen, der zum deutschen Kaiser gewählt wurde und die Krone später an seinen Sohn Philipp übergab. Als dieser 1506 starb, wurde seine Schwester, Erzherzogin Margarete von Österreich, die mehrere Werke von Bosch besaß, Statthalterin in den Niederlanden. Auch die Schwiegermutter Philipps, Isabella die Katholische, und der Kardinal Domenico Grimani in Venedig waren Sammler von Boschs Bildern.

Doch Hieronymus Bosch ließ sich von seinem Erfolg und seinem Wohlstand nicht korrumpieren, sein Weltbild war von einer humanistischen Moral jenseits der kirchlichen Doktrin geprägt. Er beobachtete die Unzulänglichkeiten seiner Mitmenschen und legte immer wieder den Finger in die Wunde der gesellschaftlichen Mißstände. Gerechte finden sich selten in seinen Bildern, nur wenige Asketen und Eremiten, die sich vom Treiben der Menschen angewidert abgewandt haben und im Kampf mit sich selbst ein kümmerliches Dasein führen, zählen zu den positiven Erscheinungen. Für die Mehrheit seiner Mitbürger empfindet er nur Abscheu, er karikiert sie schonungslos in ihrem Sündenpfuhl und läßt keinen Zweifel daran, daß sie die Gesellschaft in eine diesseitige Hölle verwandeln. Die jenseitige Hölle ist keine Strafe mehr für sie, dort gehen sie ihren niederträchtigen Machenschaften mit all ihrer unmenschlichen Grausamkeit unbeirrt weiter nach.
Die Menschen des Mittelalters waren von einer tiefen Religiösität geprägt, die weit über den sonntäglichen Besuch des Gottesdienstes hinausreichte, und jeden Winkel des privaten und öffentlichen Lebens reglementierte, wie sie heute nur noch in den islamischen Gesellschaften des Nahen Ostens anzutreffen ist. Freies und eigenständiges Denken wurde verfolgt, stattdessen wurde die Angst vor der Sündhaftigkeit geschürt, um das Macht- und Profitstreben des Klerus zu fördern. Die römisch-katholische Kirche forderte in ihrem Machtbereich exorbitante Abgaben ein und trieb einen schwunghaften Handel mit Kardinalshüten, Bischofssitzen und Ablaßbriefen. Ein Sprichwort von Luther lautete: “Je näher Rom, je böser Christ!”
Der Sittenverfall des späten Mittelalters führte zu sozialen Spannungen in einer Gesellschaft, die von Krieg und Gewalt erschüttert wurde.
In vielen Klöstern gab man sich der Trunksucht, der Völlerei und der sexuellen Freizügigkeit hin. Erasmus von Rotterdam urteilte: „Viele Klöster von Männern und Frauen unterscheiden sich wenig von öffentlichen Freudenhäusern.” Um die Moral der weltlichen Potentaten und des einfachen Volks war es nicht besser bestellt. Wanderprediger prangerten die Mißstände an und schilderten den Sündern ihre zu erwartenden Höllenqualen in allen Details, wenn sie jedoch den Status Quo der weltlichen Machthaber in Frage stellten, wurden sie aus der Stadt gejagt. Das Volk vegetierte vor sich hin und litt unter Ausbeutung, Krieg, Hunger und Pestilenz, während der Adel und der Klerus mit der Anstrengung von Prozessen gegen Konkurrenten, Erbstreitigkeiten, Habgier und Rachsucht beschäftigt waren. Das Volk war den Machtspielen der herrschenden Klasse schutzlos ausgeliefert und reagierte sich in Form von Brutalität und mystischer Ekstase ab.

Im Zentrum der engen Städte thronten gewaltige Kathedralen, während sich durch die schmutzigen Gassen fortwährend Bitt- und Dankprozessionen schoben und dabei Reichtum, Armut, Verstümmelungen und Laster demonstrativ zur Schau gestellt wurden. Reumütige Sünder durften im Schoß der Kirche bleiben, wer sich jedoch gegen die Macht des Klerus auflehnte, landete auf dem Scheiterhaufen, nicht ohne vorher zur Belustigung des Volkes gefoltert worden zu sein. Zur Zeit von Hieronymus Bosch war der Tod allgegenwärtig, während man auf dem Markt Dinge des täglichen Bedarfs besorgte, fanden in unmittelbarer Nähe Hinrichtungen statt. In der Ptolemäischen Weltanschauung stand die Erde im Mittelpunkt des Universums, während Sonne, Mond und Planeten um sie kreisten. Bevölkert wurde sie nicht nur von Menschen und Tieren, sondern war seit dem Höllensturz der abtrünnigen Engel auch mit Dämonen, Teufeln und unreinen Geistern verseucht, ihnen wurde die Schuld an Krankheit, Sünde und Not gegeben. 1484 begann die Hexenverfolgung mit der päpstlichen Bulle „Summis desiderantes affectibus” von Papst Innozenz VIII., kurz darauf veröffentlichten die Dominikaner Jakob Sprenger und Heinrich Kramer den „Malleus Maleficarum”, eine Anleitung zum Erkennen und Vernichten von Hexen und Zauberern.
Das Volk litt unter den Machenschaften der Mächtigen, während es von Straßenräubern, Steuereintreibern und Söldnertruppen drangsaliert wurde. Der sogenannte „Schwarze Haufen”, eine Terrormiliz des Condottiere Albrecht von Sachsen, der Schrecken der Niederlande, zog im Auftrag von Kaiser Maximilian mordbrennend und brandschatzend durch aufsässige Provinzen. Weltuntergangsprophezeiungen hatten Hochkonjunktur, man erwartete, daß das Jüngste Gericht unmittelbar bevorstand, psychisch labile Personen suchten deshalb ihr Heil in Schwarzen Messen.
Die gotische Kathedrale Sint Jan mit ihren Skulpturen war für Hieronymus Bosch der Nährboden für seine Monster und Dämonen.
Die provinzielle Lage von s’Hertogenbosch, das keinen Bischofssitz und keine Universität besaß, kam der geistigen Unabhängigkeit und damit der künstlerischen Entwicklung von Hieronymus Bosch entgegen. Durch die Tuchindustrie lebte die Stadt mit ihren 3000 Familien in Wohlstand und pflegte Handelsbeziehungen und kulturelle Kontakte nach Nordeuropa und Italien. Die gotische Kathedrale Sint Jan aus dem 14. Jahrhundert bildete das Zentrum von s’Hertogenbosch. Die Fassaden und Strebebögen von Sint Jan sind übersät mit Skulpturen, vor allem Dämonen. Das monströse Bauwerk besteht fast ausschließlich aus Winkeln und Nischen, die ideale Verstecke für Dämonen und Teufel bilden, man findet sie überall, auch dort, wo man sie nicht vermuten würde. Sint Jan dürfte auf Hieronymus Bosch, der nur hundert Meter davon entfernt am Tuchmarkt aufwuchs, einen prägenden Eindruck gemacht haben. Ein weiteres Kindheitserlebnis muß sich unauslöschlich im Gedächtnis des Malers eingebrannt haben: Der Brand von s’Hertogenbosch im Jahr 1463. Dem Inferno fielen 4000 Häuser und zahllose Menschen zum Opfer. Auf seinen Höllentafeln schildert Hieronymus Bosch die Feuersbrünste wohl deshalb so minutiös und koloristisch beeindruckend, weil er selbst Zeuge dessen geworden war.
Nur ein Jahr nach Boschs Tod erschütterte die Reformation mit ihren Bauernaufständen die christliche Welt. Die reformatorischen Bilderstürmer verschonten auch Brabant, die Heimat von Hieronymus Bosch, nicht. In Folge dessen hat sich kein einziges seiner Bilder in den Niederlanden erhalten, bedrückend ist die Vorstellung, welche Schätze des Meisters vernichtet wurden oder im Laufe der Jahrhunderte verloren gegangen sind. So gesehen war die Sammelleidenschaft des spanischen Königs Philipp II. ein Glücksfall für die Kunstgeschichte, ohne ihn wäre mit Sicherheit auch der „Garten der Lüste” der Bilderstürmerei zum Opfer gefallen.
„Der Garten der Lüste” ist eines der komplexesten Bilderrätsel der Kunstgeschichte und sein Auftraggeber bleibt geheimnisumwittert.

Das Triptychon „Der Garten der Lüste” bildet das Highlight der Ausstellung, es wird freistehend im Raum inszeniert, so daß auch die sonst nicht sichtbaren Außentafeln in Grisaille-Malerei betrachtet werden können. Auf ihnen ist wie in einer Glaskugel die Erschaffung der Welt zusammen mit ihrem Schöpfer zu sehen. Vor dem Kultbild bilden sich die gleichen Menschentrauben, wie es auf der Haupttafel davon wimmelt. Die Präsentation des „Garten der Lüste” wird begleitet von einer wandfüllenden Dokumentation spektralanalytischer Untersuchungen, die die einzelnen Malschichten und Boschs Arbeitsprozeß bis ins kleinste Detail sichtbar machen.
Wie die meisten Bilder von Hieronymus Bosch entzieht sich auch der „Garten der Lüste” einer eindeutigen Interpretation. Bosch arbeitet mit verschlüsselten Symbolen, die selbst im späten Mittelalter nur für Eingeweihte verständlich waren. Umso schwerer ist es heute, ihre Bedeutungsebenen zu rekonstruieren. Neben christlichen Deutungsversuchen glauben Kunsthistoriker auch immer wieder jüdisches, alchemistisches oder astrologisches Gedankengut zu erkennen. Sogar chiffrierte Botschaften einer spätmittelalterlichen Geheimlehre werden gerne in Boschs Bilder hineininterpretiert. Die Interpretationen des „Gartens des Lüste” reichen von der Warnung vor verdammenswerter Libertinage bis hin zur Utopie eines Liebesparadieses, einem Andachtsbild einer freigeistigen Sekte.
Das mittelalterliche Weltbild wurde nachhaltig vom 540 in Rom geborenen Papst Gregor I. geprägt, der die Sittenlosigkeit in den Klöstern anprangerte und stattdessen Enthaltsamkeit predigte. Für ihn war das Weib ein Instrument des Teufels und seinen allgegenwärtigen Dämonen. Nacktheit war ebenso des Teufels, weshalb er jegliche irdische Freude als Sünde brandmarkte und den Sündern mit ewigen Höllenqualen drohte. Der Horror vor der Nacktheit hielt sich bis ins späte Mittelalter, deshalb konnte es keinem Vertreter des Klerus in den Sinn kommen, daß der „Garten der Lüste” eine Verherrlichung der freien Liebe sein könnte. Philipp II. von Spanien, der das Werk erwarb, galt als orthodoxer Verfechter der katholischen Glaubenslehre, der jegliche Abweichung brutal mit Folter und dem Scheiterhaufen verfolgte. Die Wertschätzung des konservativen Königs für den „Garten der Lüste” gilt als Beleg dafür, daß das Triptychon als rechtgläubiges Werk im Sinne der Kirchendoktrin betrachtet wurde.
Hieronymus Bosch bekennt sich mit dem „Garten der Lüste” zum ökologischen Gleichgewicht der Natur.
Auf den Außenflügeln ist die Welt am dritten Schöpfungstag als Glaskugel mit einer darin schwimmenden Erdscheibe dargestellt. Gott hat das Wasser von der Erde getrennt und die ersten Pflanzen erschaffen. Dazwischen befinden sich rätselhafte kristalline Gebilde, die auf alchemistische Experimente und damit eventuell auf einen weltlichen Auftraggeber hinweisen.

Der Paradiesflügel zeigt die Erschaffung des Lebens. Eva erscheint hier ohne die Attribute des Bösen, die Schlange spielt im Bildgeschehen nur eine Nebenrolle, während Jesus von Nazareth und nicht wie sonst üblich Gottvater ihr Handgelenk hält. Gleichzeitig berührt Adam mit seinen Füßen die von Jesus, der göttliche Kreis des Lebens schließt sich. Im Vordergrund befindet sich ein Teich, aus dem tierisches Leben in allen Arten von Fabelwesen entspringt. In der Bildmitte thront das phantastische Gebilde eines Lebensbrunnens mit zylindrischen und tropfenförmigen Formen, die ebenfalls an alchemistische Instrumente erinnern.

Ein auf den Bildern von Hieronymus Bosch stets wiederkehrendes Motiv ist die Eule. Eulen galten im Mittelalter als das personifizierte Böse, als Kreaturen der Nacht mit ihrem geisterhaft durchbohrenden Blick. Doch die Eule im „Garten der Lüste”, die genau im Schnittpunkt der Bilddiagonalen aus dem Fuß des Brunnens herauslugt, steht für Weisheit und Ruhe. Um einen bizarren Felsen kreisen Vögel, die davonfliegen und zu einem zerbrochenen Ei zurückkehren, Sinnbild für den Kreislauf des Lebens. Der Garten Eden des linkes Flügels geht landschaftlich in die Mitteltafel des Triptychons über.
Da im „Garten der Lüste” jegliche Dämonen fehlen, die auf die Todsünde der Wollust hinweisen könnten, ist die zentrale Botschaft von Hieronymus Bosch wohl eher das physische und psychische Gleichgewicht des Menschen, der vom Stigma der Sünde befreit mit sich im Reinen ist und in Einklang mit der Schöpfung lebt. Üppige Früchte werden in verschwenderischer Fülle präsentiert, nur der Apfel der Erkenntnis fehlt. Bosch spielt mit sexuellen Symbolen, ohne aber das bunte Treiben der nackten Menschen als Sünde zu verteufeln.

Das zentrale Gewässer, in dem Frauen baden, erinnert an einen Jungbrunnen. Auf großen Tieren und Fabelwesen reitende Männer umkreisen das Ufer, Sinnbild für den ewigen Kreislauf der Natur mit seinem männlichen und weiblichen Dualismus. Riesige Vögel im und am Wasser symbolisieren Fruchtbarkeit und bilden mit den Badenden eine harmonische Symbiose. Genau in der Bildmitte hat Hieronymus Bosch ein Ei platziert, das ein Reiter auf dem Kopf balanciert, es steht für den Ursprung des Lebens und der gesamten Schöpfung. Das obere Bilddrittel mit seinem hohen Horizont wird von bizarren Lebensbrunnen dominiert, die von einem Bibelzitat inspiriert sein könnten, in 1. Moses 2,10 heißt es: “Und es ging aus von Eden ein Strom, zu wässern den Garten, und teilte sich von dannen in vier Hauptwasser.” Diese Hauptwasser fließen an den vier markanten Felsformationen vorbei oder durch sie hindurch.
Alle Sünden finden in Boschs Hölle ihre gerechte Strafe, nur die Lust ist davon ausgenommen.
Auf der Höllentafel ist keine jenseitige, sondern die diesseitige Hölle dargestellt. Brennende Städte, Krieg und Gewalt waren die Normalität in einer Gesellschaft, die von Sittenlosigkeit erschüttert wurde und dem Weltuntergang entgegentaumelte. In der Hölle von Hieronymus Bosch werden die Sünder für ihre Vergehen gegen die Gebote Gottes gepeinigt, unter anderem für Zorn, Eitelkeit, Habgier oder das im Mittelalter verpönte Würfelspiel. Die Luxuria, immerhin eine der Todsünden, ist davon ausgenommen, was darauf hindeutet, daß Bosch eine freidenkerische Einstellung in Bezug auf die fleischliche Lust hatte.


Die zentrale Gestalt des Höllenflügels ist der Baummensch, dessen Beine in abgestorbene Baumstüpfe mit Verästelungen übergehen, die in zwei Kähnen auf einem gefrorenen See stehen. Er ist zur Bewegunglosigkeit verurteilt, zudem wird sein Haupt von einem Mühlstein beschwert, auf dem vier Figuren um einen Dudelsack, Symbol der Geschlechtlichkeit, aber auch der Schwatzhaftigkeit, tanzen. Sie verkörpern Arroganz, Spottlust, Habgier und Zorn. Der Körper des Baummenschen wird von einem zerbrochenen Ei gebildet, in dessen Inneren ein Trinkgelage veranstaltet wird. Oberhalb des Baummenschen befindet sich ein riesiges Messer, das zwischen abgeschnittenen durchbohrten Ohren auf die Sünder herabfährt. Eine der im Mittelalter üblichen Bestrafungen war es, Straftätern die Ohren abzuschneiden. Die sogenannte musikalische Hölle, wo Menschen von Musikinstrumenten gefoltert werden, ist eine Satire auf den selbstgefälligen Pomp der Kirchenmusik. Am rechten unteren Bildrand wird ein Mann von einer Sau mit der Haube einer Äbtissin bedrängt, während ein Monstrum in Ritterrüstung Schreibzeug angeschleppt hat. Bosch will hier auf das von Kirchen und Klöstern praktizierte erpresste Überschreiben von Besitztümern eingeschüchterter Gläubiger hinweisen.

Eine weitere Hauptfigur der Tafel ist der Dämon mit Menschenleib und Raubvogelkopf, der auf einem thronartigen Abort sitzt, Sünder verschlingt und wieder ausscheidet. Hieronymus Bosch könnte zu dieser Figur durch das Volksbuch „Die Visionen des Tondalus” inspiriert worden sein. Die holländische Ausgabe des populären Buchs eines anonymen irischen Verfassers erschien 1472, in ihm werden die Erfahrungen eines Ritters, der wie Dante die Hölle durchwanderte, geschildert: „…aus einem ungeheuren, runden, einem Schmelzofen ähnlichen Gebäude brechen Flammen, welche noch in tausend Schritt Entfernung die Seelen quälen.
Vor den Toren, mitten im Feuer, stehen teuflische Henker mit Messern, Sicheln, Bohrern, Beilen, Hacken, Schaufeln und anderen Werkzeugen, womit sie die Seelen der Gefräßigen schinden, köpfen, durchbohren, vierteilen, zerstückeln, um sie dann ins Feuer zu werfen… Ferner sitzt dort auf einem gefrorenen Sumpf eine Bestie, scheußlicher als alle anderen, mit zwei Füßen, zwei Flügeln, langem Hals und eisernem Schnabel, der unauslöschliches Feuer speit. Dieses Tier verschlingt alle Seelen, die ihm zu nahe kommen, verdaut sie und gibt sie dann als Kot wieder von sich. Dieser Seelenschmutz fällt dann auf den gefrorenen Sumpf, wo jede Seele wieder ganz ihre frühere Gestalt erhält…” Die irdische Hölle von Hieronymus Bosch war überfüllt, was sich bis ins 21. Jahrhundert hinein nicht geändert hat.
Im „Heuwagen” Triptychon verliert Hieronymus Bosch den Glauben an Gott, der Mensch ist mit dem Bösen infiziert.

Das Werk, dessen Botschaft am leichtesten zu entschlüsseln ist und das bis heute nichts von seiner Aktualität eingebüßt hat, ist das „Heuwagen” Triptychon. Die Bildfolge des „Heuwagens” liest sich wie ein Comicstrip und beginnt mit den Außentafeln, die nicht wie üblich in Grisaille, sondern in Farbe gemalt sind. Ein leicht gebückter Wanderer, sich nach hinten umblickend, läuft durch die Ödnis einer Landschaft, vor ihm liegt in Form einer maroden Brücke eine ungewisse Zukunft.

Um ihn herum ist das Elend und die Niedertracht des irdischen Jammertals zu sehen, Räuber treiben ihr Unwesen, Bauern tanzen zu den Klängen des als obszön geltenden Dudelsacks, während im Hintergrund ein Deliquent an den Galgen geknüpft wird. Wird das Triptychon aufgeklappt, beginnt die menschliche Tragödie bereits auf dem Paradiesflügel, wo Gottvater hilflos mitansehen muß, wie seine Schöpfung durch das Böse verdorben wird. Gefallene Engel werden von den himmlischen Heerscharen zur Erde hinabgestürzt, dabei mutieren sie zu dämonenhaftem schwarzem Ungeziefer. Die Invasion der Teufel nimmt von Gottes Schöpfung Besitz, sie verseuchen die Erde und das Meer außerhalb des Garten Eden. Gleichzeitig findet dort der Sündenfall statt, Eva hat schon vom Apfel der Erkenntnis gegessen, den die Schlange jetzt an Adam weiterreicht. Die Vertreibung aus dem Paradies ist im Bildvordergrund dargestellt, wo Adam und Eva den Garten Eden durch ein Felsentor verlassen müssen. Draußen warten schon die Teufel auf sie, nun ist die Menschheit dem Bösen schutzlos ausgeliefert. Im Zentrum der Mitteltafel ist ein großer Heuwagen zu sehen, der von Dämonen gezogen wird.
Ein altes flämisches Sprichwort lautet: “Die Welt ist ein Heuhaufen, jeder nimmt davon, was er erraffen kann.” Die Flüchtigkeit und Wertlosigkeit des Heus steht für die Vergänglichkeit irdischer Besitztümer. Um den Wagen herum streiten sich die Menschen um das Heu, in ihrer Raffgier nehmen sie auch in Kauf, von den Wagenrädern überrollt zu werden. Im Gefolge der Prozession befinden sich der Kaiser und der Papst, umgeben von kirchlichen und weltlichen Würdenträgern, sie alle fahren direkt zur Hölle.
Die Gier der Menschen nach vergänglichem Besitz treibt sie geradewegs in den eigenen Untergang.
Im Vordergrund der Mitteltafel sind moralisierende Sittenbilder widergegeben, Zauberer, Hellseherinnen, Quacksalber und ihre naiven Opfer geben sich der Täuschung und Selbsttäuschung hin. Zwei Personen, die als der Prophet Jesaia ud der Strafprediger Amos identifiziert worden sind, warnen vor der Fahrt in den Abgrund, doch sie finden kein Gehör. Mitten auf dem „Heuwagen” sitzt ein musizierendes Liebespaar in einer Liebesgartenidylle, während ein Dämon und ein Engel um ihre Aufmerksamkeit buhlen. Über dem Gebüsch hinter der Idylle sitzt ein Eule.


Im Himmel thront Gottvater, der auf Miniaturformat geschrumpft ist und hilflos die Arme ausbreitet. Seine Schöpfung ist ihm entglitten, die Menschen haben sich von ihm abgewandt. Während die habgierige menschliche Gesellschaft zusammen mit den Potentaten und dem selbstgefällig musizierenden Liebespaar das Heu zusammenrafft, rollt der Wagen unaufhaltsam der Verdammnis entgegen. In der Hölle erhält jeder Sünder die ihm angemessene Strafe, der Verfressene wird gefressen, der Neidische von Hunden zerrissen, und die Geschlechtsteile des Lüstlings verwandeln sich in eine Kröte.
Der ausgeprägte Vanitas-Gedanke, den Hieronymus Bosch im „Heuwagen” Triptychon formuliert hat, macht dieses Werk so zeitlos und direkt auf die Jetztzeit übertragbar. Der Konsumrausch der westlichen Gesellschaft, die Gier der ökonomischen Elite, die die Finanzwelt in den Kollaps getrieben hat, die Unfähigkeit der Politiker, die nur mit der Wahrung ihrer Machtansprüche beschäftigt sind, machen den „Heuwagen” zu einer zeitgenössischen Satire des 21. Jahrhunderts und zeigen, daß die Spezies Mensch in ihrer unbegrenzten Dummheit seit dem Mittelalter nichts dazugelernt hat und blindlings den eigenen Untergang riskiert. Hieronymus Bosch bleibt einer der rätselhaftesten Künstler der Geschichte, sein Werk hat alle Bilder der Phantastik in den Schatten gestellt und viele nachfolgende Künstlergenerationen inspiriert, von Pieter Bruegel bis zu den Surrealisten haben sich alle Künstler zu ihm bekannt, die das Visionäre und das Rätsel der menschlichen Existenz ins Zentrum ihrer Arbeit gestellt haben. Nur ein Bruchteil seines Werks ist uns erhalten geblieben, doch dieses reicht aus, um uns auch in Zukunft zu faszinieren. Seine Bilder geben uns einen Einblick in die Komplexität der mittelalterlichen wie auch der neuzeitlichen Welt, und in die Geisteshaltung des Menschen Hieronymus Bosch, der sich im Laufe seiner künstlerischen Laufbahn vom christlichen Moralisten zum Misanthropen entwickelt hat.
31.05. – 11.09.16 Museo del Prado Madrid

1 Kommentar. Hinterlasse eine Antwort
Eine sehr feinfühlige und visionäre Beschreibung des Bosch’schen Werkes und Denkens. Leider ist der Kernsatz zum Thema „Nichts dazugelernt“ wohl nur allzu wahr. Es wäre schade, wenn eine solche Rezension nur die paar Leser eines Künstlerblogs erreicht. Und: Ich bin froh, dass ich selber die Gelegenheit hatte, diese Ausstellung, und das sogar mehrfach, besuchen zu dürfen.