

Im Rahmen der Jubiläumsausstellung FAVORITE THINGS anläßlich des 70. Gründungsjahres des BBK Oberfranken präsentiert Thomas Michel sein Ausstellungskonzept DOUBLETHINK in der Stadtgalerie Bamberg Villa Dessauer. Thomas Michel zeigt großformatige Gemälde, die das Spannungsfeld zwischen subjektiver Wahrnehmung und objektiver Realität im Zeitalter alternativer Fakten untersuchen.
Die Arbeiten von Thomas Michel sind in umgekehrten Farben gemalt, sie werden dadurch zu Negativen, die den Sehgewohnheiten des Betrachters zuwiderlaufen und ihn dadurch zu einer Auseinandersetzung mit dem Medium der Malerei bewegen sollen. Der Betrachter ist gezwungen, genau hinzusehen und die Motive in ihrer scheinbaren Farbigkeit zu hinterfragen und umzudeuten. Durch die Umkehrung von Sichtbarem und Unsichtbarem erfolgt eine Verschiebung von Bedeutungen, die den Kontext der Bilder verschlüsseln. Will der Betrachter die Bilder dechiffrieren, muß er diese durch den manipulativen Filter der digitalen Medien betrachten.
Durch Interaktion eröffnet sich dem Publikum ein völlig neues Seherlebnis
Teil der Präsentation ist ein Hinweis mit der Aufforderung, das eigene Smartphone zu Hilfe zu nehmen und die Gemälde zu fotografieren, um die Farben am Display umzukehren und richtig betrachten zu können (invertieren). Um seine vertrauten Sehgewohnheiten durch die Interaktion bzw. die Dechiffrierung der Bilder befriedigen zu können, muß er sich in die Abhängigkeit technischer Hilfsmittel begeben. Das Publikum wird so Teil eines manipulativen Spiels, in dem die Grenzen zwischen Gesehenem und Wahrgenommenem verwischen und diese verdrehten Wahrheiten dann weitergegeben werden.
Die auf den ersten Blick ungewohnten Farben der Bilder, die ihre Inhalte verbergen, bieten dem Betrachter, der sich auf die Interaktion einläßt, ein ungewöhnliches Seherlebnis, einen Überraschungseffekt, der auch zu Diskussionen unter den Besuchern führt. Die Gemälde erhalten dadurch eine objekte Realität, während zugleich die Umgebung und die Betrachter irreal werden, die wie geisterhafte Schatten eines Fotonegativs durch die Ausstellung wandern. Die Beziehung zwischen Sender und Empfänger wird umgedreht, die Kunstwerke sehen den Betrachter an.
DOUBLETHINK im Zeitalter der Bildmanipulation
Aus fotohistorischer Sicht nimmt die Visualisierung des Bildes durch die digitale Umkehrung von Farben und Kontrasten (Inversion) auf das analoge reprotechnische Verfahren Bezug, bei dem Fotopapier mit Hilfe des fotografischen Negativs ausbelichtet wird. Im analogen Bild war das Negativ ein Ausdruck von Echtheit und Glaubwürdigkeit, im digitalen Zeitalter dagegen wird die Wahrheit durch Bildmanipulation für politische Zwecke, Propaganda und Werbebotschaften mißbraucht.
Die Auflösung von Gewissheiten ist eine der existenziellen Grunderfahrungen der modernen Gesellschaft. Der Ausstellungstitel FAVORITE THINGS nach dem Originallied von Richard Rogers und Oscar Hammerstein II beschwört eine heile Welt, die vor unseren Augen gerade im Zeitraffertempo zerbricht. Die Nachkriegsordnung löst sich auf, die westlichen Demokratien werden zur Zielscheibe von Populisten, Politik ist unkalkulierbar geworden. Seit der Inauguration der neuen US-amerikanischen Regierung wird die Welt Zeuge eines Rückfalls in die dunkle Zeit der McCarthy Ära mit der Verfolgung von Andersdenkenden und der Unterdrückung der Pressefreiheit. Die Grenze zwischen Wahrheit und Lüge wird bewußt verwischt und die sozialen Medien mißbraucht, um durch Fake News bzw. „alternative Fakten” die öffentliche Meinung zu manipulieren.
Die Renaissance von DOUBLETHINK und George Orwells Roman „1984”
Hier drängt sich eine weitere Parallele auf: Der dystopische Roman „1984” von George Orwell, dessen Neusprech-Begriff DOUBLETHINK Thomas Michel als Untertitel für sein Ausstellungskonzept dient. DOUBLETHINK entspricht einer Denkweise von schizophrenem Charakter, bei dem die herrschende Regierung durch widersprüchliche oder sich gegenseitig ausschließende Überzeugungen die Logik außer Kraft setzt. Dies beinhaltet auch die absichtliche Verbreitung von Lügen und die Verleugnung einer objektiven Realität, um eine totalitäre geistige Kontrolle über das Volk zu erlangen.
Auf künstlerischer Ebene ist das Ausstellungskonzept von Thomas Michel auch eine Auseinandersetzung mit der Rolle der Malerei in einer digital manipulierten Bilderflut, sowie dem historischen Verhältnis zwischen Malerei und Fotografie. Die Bilder von Thomas Michel stellen das menschliche Individuum ins Spannungsfeld zwischen humanitärer Krise, religiösem Extremismus und globaler Medienwahrnehmung. Die Gemälde sind dadurch gekennzeichnet, daß die heile Welt des übergeordneten Ausstellungsmottos „Favorite Things” darin gerade nicht vorkommt. Während eine kleine Minderheit vom Kapitalismus der Globalisierung profitiert, befindet sich die Mehrheit der Menschheit in einem existenziellen Überlebenskampf ohne die Chance, ihre „Favorite Things” jemals zu erreichen, stattdessen ist sie bedroht durch Gewalt, Terror und Tod.
Villa Dessauer
2.4.-14.5.2017
Eröffnung 1. April 19:00 Uhr
Hainstraße 4A, 96047 Bamberg
Öffnungszeiten Do – So und feiertags 12-18 Uhr
